Das Leben der Modeikone aus dem Blickwinkel seines Lebensgefährten Pierre Bergé erzählt
FILMKRITIK VON IRIS THEN
Erwartet man tiefe Einblicke in ein schillerndes Leben inmitten der Modewelt, umgeben von edlen Stoffen, Glamour und Chic, kann man nur enttäuscht werden. „Yves Saint Laurent“, der Film des französischen Regisseurs Jalil Lespert über einen der einflussreichsten Modedesigner aller Zeiten, ist eher die Liebesgeschichte zweier Männer im Paris der 60 und 70er Jahre. Doch auch diese ohne wirklichen Tiefgang. Pierre Bergé, der langjährige Lebensgefährte und Geschäftspartner von YSL, erzählt dabei aus seiner Perspektive. Es heißt, der inzwischen 82-Jährige, der den Film auch autorisiert hat, wollte damit seiner Liebe zu dem Modeschöpfer ein Denkmal setzen. Vermutlich aber auch sich selbst.
Schmal, blass, zerbrechlich, mit großen, aufgerissenen Augen und dem penetranten Tick, sich vor Unsicherheit immer wieder nervös an die Hornbrille zu fassen – so zeichnet Regisseur Lespert den großen Modedesigner YSL, gespielt von Shooting Star Pierre Nine. Der Film beginnt im Jahr 1957 im algerischen Oman beim Kaffeeklatsch im Hause von Yves´ Eltern. Während der 21-jährige junge Mann beim Zeichnen seiner Modeentwürfe mit sehnsüchtigem Blick einem arabischen Jüngling im Hof nachschaut, erzählt seine stolze Mutter im Nebenzimmer ihren Freundinnen, dass ihr Sohn bei dem Couturier Christian Dior als Designer in Paris anfangen wird. Kurz und schmerzlos, ohne groß auf Hintergründe einzugehen, wird so in einem Rutsch Saint Laurent´s Genie gleichermaßen wie seine Homosexualität für den Zuschauer etabliert.
YSL und sein Beschützer
Dann plötzlich Szenenwechsel. Wir schreiben das Jahr 2009. Neun Monate nach YSL´s Tod. Pierre Bergé (gespielt von Guillaume Gallienne, vor kurzem mit seinem Regiedebüt „Maman und ich“ erfolgreich) versteigert die mit seinem Lebensgefährten gemeinsam zusammengetragenen Kunstschätze bei einer weltweit beachteten Auktion. Aus dem Off erklärt er uns: Er ertrage es nicht, die Objekte allein zu betrachten. Von da an wird die Geschichte des weltberühmten Modemachers im Rückblick und mit Voice-over-Kommentaren aus Bergé´s Perspektive erzählt.
YSL´s überraschender Erfolg mit seiner ersten Haute-Couture-Kollektion nach dem plötzlichen Tod seines Lehrmeisters Dior, sein Aufstieg zum künstlerischen Leiter der Firma – quasi über Nacht steht der schüchterne Designer im Mittelpunkt der Modewelt. Aber der Erfolg und auch die Kreativität und Inspiration die dahinter steckte, ist für den Zuschauer wenig zu spüren. So gelingt es Bergé, der zu dieser Zeit der Lebensgefährte und Agent des Malers Bernard Buffet war, im Film als Beschützer aufzutreten und sich als treibende und ordnende Kraft des vom Erfolg überrumpelten Modedesigners darzustellen.
Doch auch die Liebesgeschichte der beiden Männer und ihr geschäftliches Verhältnis zueinander wird wenig detailreich und ohne große Emotionen erzählt. Ein paar Eifersüchteleien, Yves´ manisch-depressive Schübe und seine Flucht in die Drogenwelt wirken eher wie aufgezählt. Kaum ist er in den kleinen Kreis der „Haute Couture“ gelangt, gründet er zusammen mit Pierre sein legendäres Label „Yves Saint Laurent“ und setzt damit eine Revolution in Gang. 1958 bringt er das Trapezkleid auf den Markt, das die Frauen vom Wespentaillen-Ideal befreien wird. Dann geht es Schlag auf Schlag: Transparente Kleider, Anzug und Smoking für Damen. Ein paar Modeschauen werden gezeigt. Yves lässt sich für seine Kollektionen von zeitgenössischen Künstlern wie Pablo Picasso oder Henri Matisse inspirieren. Kunst ist für ihn Beruhigung und Inspiration. Doch all dies wird in dem Biopic von Jalil Lespert eher wie beiläufig erzählt.
Er hat die Mode revolutioniert
Rund zwanzig Jahre streift der Film in 115 Minuten. Genau die Zeit, in der YSL und Pierre Bergé als Paar zusammen waren. 1976, im Jahr in dem die beiden sich trennten, endet die Geschichte, wird abstrakt, ohne näher auf den Bruch ihrer Beziehung einzugehen. Pierre wird im Film als unendlich gütig, liebenswürdig und geduldig geschildert, Yves dagegen als schüchternes Bübchen fast schon in seinen Schatten gestellt. Hängen bleibt vor allem dieses schmale Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen. Dass der Designer die Mode umgekrempelt hat, ist erst im Abspann zu lesen, als wäre dies nicht sonderlich erwähnenswert. YSL´s innovative Kreationen sind Inbegriff französischer Lebensart, vereinen Kunst und Zeitgeist mit tragbarer Eleganz und revolutionierten die Haute Couture. Nur so lässt sich erklären, dass der Film, den der britische „Guardian“ als „unglaublich teures Werbevideo“ bezeichnete, dennoch in Frankreich an seinem Startwochenende Platz eins der französischen Kinocharts belegte. Im Frühjahr 2013 wurde bekannt, dass der Franzose Bertrand Bonello („Haus der Sünde“) ebenfalls einen Film über den Designer drehen werde. Bonellos Projekt wurde ohne Zustimmung von Pierre Bergé realisiert. Sein Film konzentriert sich auf die Anfangsjahre des Künstlers und soll im Mai bei den Filmfestspielen von Cannes uraufgeführt werden. Bleibt also zu hoffen, dass man darin mehr über die Kreativität und das Genie YSL´s erfährt.