‚Die Familie auf dem Präsentierteller‘
…von Betamax bis Tonbandspuhlen – Von Anika Pöhner – Wohnküchenidyll – die 20er Jahre. Das gesamte Leben der Menschen in den 20ern spielte sich in der Wohnküche ab. Die „gute Stube“, heute das Wohnzimmer, wurde nur zu besonderen Anlässen genutzt und war das „Renomierobjekt“ der Hausfrau. Entsprechend feierte die Familie Heiligabend in der Wohnstube, aber am 1. Weihnachtstag ging es bereits zurück in die Küche. „Damit die Kinder nicht herumturnen und etwas kaputt machen“, so die oft gehörte Begründung der Eltern.
Das Vorzeigezimmer war mit wuchtigen geschwungenen Sofas, einem runden Tisch, gepaart mit verschnörkelten Stühlen, ausgestattet. Eine schöne Vitrine mit dem Tafelsilber durfte ebenfalls nicht fehlen. Im „Lebensmittelpunkt“ Küche befanden sich ein großer Tisch, an dem die gesamte Familie Platz fand, ein Küchenschrank mit Glasaufsatz für das Alltagsgeschirr und der Ofen als einzige Heizquelle der Wohnung. Die Holzdielen waren im damals typischen Ochsenblutrot gestrichen. In der Wohnküche betätigte der Vater sich handwerklich, machten die Kinder Hausaugaben und kochte die Mutter Marmelade ein. Währenddessen wurde gern gesungen: „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen…“, oder die Großmutter erzählte Geschichten. Sonnabend war Badetag. Man stellte eine Zinkwanne in die Küche, füllte sie mit warmem Wasser, und nacheinander durften sich Vater, Mutter und die Kinder vom Alltagsschmutz rein waschen. Zum Nachteil des Nachwuchses war bei Letztgenannten das Wasser meist schon kalt und trübe.
Nierentisch und Toast Hawaii – die 50er Jahre
Die 50er Jahre ebneten den Aufbruch in eine völlig neue Wohnkultur. Platzsparende Schrank- und Klappbetten, die tagsüber mit abstrakt gemusterten Kissen bestückt als Sofa dienten, empfand man als Muss in jeder Wohnstube. Neben rosafarbenen, gelben oder blauen Sesseln bildete das Radio den Mittelpunkt des Wohnzimmers. Vor diesem versammelte sich die Familie regelmäßig und lauschte gespannt diversen Krimihörspielen. Der Stolz jeder Hausfrau war der bedeckt gemusterte Perserteppich, bei dem es der Dame des Hauses insgeheim egal war, ob dieser handgeknüpft oder als billiges Imitat maschinell hergestellt wurde. Hauptsache „er macht was her!“ Als Wohnzimmertisch dienten nicht nur die legendären Nieren-, sondern auch die großen Couchtische, welche man mit einer Kurbel in der Höhe verstellen konnte. So verspeiste die Verwandtschaft dort Käsewürfel und Toast Hawaii, während der Sprössling aus Langeweile, den Tisch fast unmerklich nach oben oder unten kurbelte. Die 60er – Die knallroten Cocktailsessel waren ein farbliches Highlight im heimischen Wohnzimmer, und nach dem Essen süppelte man, im zum Mobiliar passenden Cocktailkleid, gerne noch eine „Kuller-Pfirsich-Bowle“. War die Stimmung auf dem Höhepunkt, schunkelte die gesellige Runde noch zu schmissigen Schlagern, die vom heißgeliebten Tonbandgerät abgespult wurden, zumindest solange bis das Band riss. Das Wohnzimmer war, wie in den 20ern, kein Ort für den Alltag. Es diente als eine Art „Präsentierteller“ für Gäste. Bei besonderen Anlässen wurde der schon in den 50ern beliebte Perserteppich, gepaart mit Eiche-Rustikal-Schrankwand und wuchtigen Sesseln, stolz gezeigt. Der „Staubfänger-Trockenblumenstrauss“ in der Mitte des gekachelten Couchtisches und das handgestickte Bild an der Wand waren das I-Tüpfelchen der Wohnlandschaft. Bei Gelegenheit bot man dem Gast einen Schnaps oder Eierlikör aus dem im Schrank integrierten und verspiegelten Bar-Fach an. Die Couch wurde gerne mit einem aus durchsichtigem Plastik bestehenden Schonbezug bestückt. So konnte die kecke Tochter keine Torte auf dem guten Möbelstück verschmieren aber der Besuch dennoch sehen, „was man sich Tolles leisten kann“. Hinter den dunklen Türen des altdeutschen Schrankes wurde nicht nur der Alkohol, sondern auch das Fernsehen verborgen, welches den Deutschen mit Serien wie „Bonanza“ vor den Schirm lockte.
Im Nachhinein zu jeder Zeit geschmacklos – die 70er Jahre
In den 70ern wurde es flippiger, verspielter und bunter in deutschen Wohnzimmern. Die Trendfarben waren unumstritten orange, braun, gelb und nicht zu vergessen, apfelgrün. Selbst am Telefon bildete grün die erste Wahl. Die hochflorigen Teppiche, Tapeten und Vorhänge zeigten sich groß gemustert. Die Polstergarnituren bestanden oft aus beigen übereinander gestapelten Schaumstoffmatratzen. Das Sitzkonstrukt war so niedrig, dass es den Männern zu Gute kam, falls sich die Frau im Minirock auf den Polstern niederließ. Für das weibliche Geschlecht erschien es in jedem Fall nicht leicht „anständig und adrett“ auf dem Sofa zu verweilen. Im Fernsehen, das sich inzwischen fast jeder leistete, begeisterten Sendungen wie „Klimbim“ oder „Ein Herz und eine Seele“. Letzteres Format bewies, dass mancher Deutsche noch immer eine Schwäche für die gute alte Wohnküche hatte. Die Hauptfigur der Kultserie, Alfred Tetzlaff, besser bekannt als Ekel Alfred, war der Inbegriff für deutsches Spießbürgertum und wusste die Vorzüge einer solchen Wohnform noch zu schätzen. So nahm der Protagonist im Kreise der Familie nicht nur sein Abendbrot zu sich, sondern schnitt während dessen, zum Amüsement des Zuschauers, auch seine Zehennägel.
Der Hi-Fi-Plattenspieler sorgte für Musik. Auf Vinyl gepresst genoss man Songs von den Bee Gees, Abba und Boney M. Das Musikvergnügen war so lange amüsant bis die Platte einen Sprung bekam und der Refrain in Dauerschleife lief, „Ra Ra Rasputin, Lover of the Russian queen!“. Weiße Kugelsessel, in die man sich bei Bedarf mit einem Karl May-Schmöker zurückziehen konnte, rundeten das Gesamtbild des Wohnzimmers der 70er Jahre ab.
Schraubst du noch oder lebst du schon? – Die 80er Jahre
Die kunterbunte Wohnlandschaft der 70er konnte sich auf Dauer nicht durchsetzen. Zu sehr hingen die Deutschen an ihrer dunkelbraunen Schrankwand gepaart mit Perserteppich. Durch den ansteigenden wirtschaftlichen Druck setzten sich zudem immer mehr Billigproduktionen auf dem Möbelmarkt durch. Das Motto war „selbst ist der Mann“ und forderte die Familienoberhäupter dazu auf, die Möbel, bestehend aus mit Holzimitatfolie versehenen Sperrholzplatten, in Eigenregie zusammen zu bauen. Das war die Sternstunde des Möbelhauses IKEA bot man günstige Möbel zu Selbstaufbaupreisen. Neu war für die Deutschen nun auch, dass ihre Möbel Namen wie beispielsweise „Billy“ oder „Ivar“ trugen. Vitrinen mit integrierter Beleuchtung ließen die Pokalsammlung eines jeden Freizeitkickers erstrahlen. Der Blick auf die düstere Schrankwand machte Lust auf Buntes. Den Farbausgleich schaffte die deutsche Frau mit einem schrillen Kleidungs- und Schmink-Stil, der das Wohnzimmer, während ihrer Anwesenheit, fröhlicher wirken ließ. Anfang der 80er erschien, für ein rundum eingerichtetes Wohnzimmer, nicht mehr nur das Fernsehen wichtig, sondern auch ein gigantisch großer, meist metallfarbender Betamax-Videorekorder. So konnte man im ZDF „XY-ungelöst“ aufnehmen und gleichzeitig mit den Kindern in der ARD die Rudi Carrell Show sehen.
Geiz ist Geil und Shabby Chic – von den 90ern bis in die Gegenwart
Antike Möbel mussten sich in den 90ern einer Restauration unterziehen und wurden vom Dachboden in das heimische Wohnzimmer zurückgeholt. Gleichzeitig herrschte eine „Geiz ist Geil“ Mentalität und führte vermehrt zum Kauf von billigen Steckmöbeln, die mit hunderten von Dübeln zusammengezimmert werden mussten. Die meisten Menschen wünschten sich ein freundliches, einladendes und helles Heim. Düstere Teppichbodenbelege mussten Laminat weichen. Die Fernseher vermehrten sich auf wundersame Weise und standen plötzlich nicht nur im Wohn- sondern auch in Schlaf- und Kinderzimmern. Seit den 00er Jahren wird der Wohnstil in deutschen Wohnzimmern erneut ordentlich durchgewirbelt. Eine Mischung aus Ebay, Flohmarkt und IKEA ist hoch im Kurs. Es entsteht ein vollkommen neuer Misch-Trend. Möbel werden auf alt getrimmt und fortan als „Shabby Chic“ bezeichnet. Die Deutschen wünschen sich die Gemütlichkeit aus alten Zeiten zurück, wollen aber andererseits nicht auf den hohen technischen Standard verzichten. So sitzt ein Großteil der Bevölkerung heutzutage in ihrem auf „Vintage-Stile“ getrimmten Wohnzimmer vor einem riesigen Flat Screen-Fernsehen, schaut Dschungel-Camp und spielt parallel auf dem Smartphone „Quizduell“.
Info:
Das Wohngefühl der 20er Jahre kann man
in einer Museumswohnung der GAG in Köln – Höhenberg erleben.
HIERFÜR IST EINE ANMELDUNG NOTWENDIG
Paul-Schwellenbach-Haus
Christof Wild
Weimarer Straße 15
51103 Köln
bz-hoehenberg@t-online.de
Tel.: 0221 872110
Fax: 0221 8806448