Kölner Buchhandel ist erfinderisch – VON IRIS THEN – Ist es der Charme des Buchhändlers, die individuelle Beratung, die schön dekorierte Auslage oder die besondere Lesung, die heutzutage einen Kunden in eine Buchhandlung zieht? Der Onlinehandel und die zunehmende Digitalisierung von Büchern fordern vor allem kleinere Läden heraus. Wer überleben will, muss sich etwas einfallen lassen. Zwei Kölner Buchhändler – der eine mit seinem Laden in der Innenstadt, die andere mit ihrem in Nippes – erzählen von ihren Überlebensstrategien:
Seit 35 Jahren ist Klaus Bittner bereits im Buchgeschäft. Seine Buchhandlung „Klaus Bittner“ in der Kölner Innenstadt hat einen Ruf weit über Köln hinaus. Auf der Visitenkarte befindet sich eine Zeichnung des bekannten Kölner Buchillustratoren Nikolaus Heidelbach. Ein kleines Erdmännchen mit einer Brille in der Hand, das Ausschau haltend auf einem großen Stapel Bücher steht. Irgendwie sieht das Tierchen Herrn Bittner ähnlich. Ich möchte von ihm wissen, was es da oben auf dem Stapel Bücher tut. „Es schaut in die Zukunft, um zu sehen, ob da irgendwo schöne Frauen in Sicht sind.“ Mit dieser Antwort habe ich nicht gerechnet. „Es nutzt also die Bücher … um nach Frauen Ausschau zu halten?“ Für einen kurzen Moment vom Stapel gefallen, versucht das Erdmännchen zurückzurudern. Doch meine Interpretation, dass das kleine Tierchen vielleicht nur über die Bücher wachen könne, ist dem versierten Buchhändler dann doch nicht genug.
Es gibt erst einmal alles
Bittners Charme zählt sicherlich zu seinen Verkaufsqualitäten. Die Zeitung „Die Welt“ titelte einen Artikel über seinen Laden einmal mit „Planet Bittner“. Seitdem, verrät er mir, nennt ihn seine Frau nur noch mein kleiner Planet. Er ist ein Erzähler und ein Charmeur. Darüber hinaus ist er aber auch ein aufmerksamer Zuhörer. Kunden, die einen bestimmten Wunsch haben, weitestgehend zu helfen, findet Klaus Bittner keinesfalls planetenhaft, sondern eine Selbstverständlichkeit. „Ob das klappt, ist manchmal Zufall. Es ist aber auch ein Produkt aus Erfahrung und Kontakten. Und man darf nicht aufgeben, auch wenn etwas einmal nicht in diesem blöden Computer drinsteht. Es gibt erst einmal alles. Dann kann man versuchen, das zu verifizieren.“
Seinen Namen hat sich der Buchhändler durch Arbeiten in diesem Stil erworben. „Vielleicht auch durch den Mut, konsequenter zu sein“, fügt er dazu. Damit will er sich aber keinesfalls von den anderen Kollegen abgrenzen, deren Arbeit er zu schätzen weiß. Bittner hat das Kölner Literaturhaus mitbegründet und war in der ersten Buchpreisjury. Vor fünf Jahren hat er sich mit zwei anderen Buchhandlungen in Freiburg und Hamburg zu dem Bündnis „5 plus“ zusammengetan, um sich gegen die Macht der großen Buchkonzerne zu wehren. „Mit so einem Bündnis setzt man Zeichen“, sagt er. Für die Verdienste um den Einsatz des klassischen unabhängigen Sortiments wird „5 plus“ deshalb auch in diesem Jahr auf der Frankfurter Buchmesse der renommierte Julius-Campe-Preis verliehen.
„Buy local“: Lebensqualität im Viertel erhalten
Angesichts der wachsenden Macht des Online-Buchhandels findet es Bittner heute noch wichtiger, sich zusammenzuschließen. „Der Buchhandel hat das vor zehn, zwölf Jahren schon gesagt. Es geht ja eigentlich immer nur um Konditionen. Gemeinsam hätte man sagen können, wir wollen einfach nicht. Aber da waren wohl die Dollarzeichen in den Augen der Vertriebsleiter größer. Mich wundert zum Beispiel, dass sich die großen Verlage nicht längst schon mit der Bonnier-Gruppe solidarisiert haben und sagen, wir beliefern euch einfach nicht mehr. Aber das können sie nicht, weil sie den Umsatz brauchen. Insofern ist die Diskussion diffizil.“ Sich mit anderen ihrer Branche verbunden, das hat auch Buchhändlerin Dorothee Junck von dem „Buchladen Neusser Straße“ in Nippes, den sie seit 2007 führt. „Wir engagieren uns für das Bündnis „buy local“. Das heißt, du entscheidest dich bewusst dafür, dass deine Lebensqualität im Viertel erhalten bleibt, wenn du Bücher hier kaufst.“ Damit will sie Kunden ansprechen, die sich dem Stadtteil Nippes verpflichtet fühlen und gute Beratung und Service zu schätzen wissen. „Wir bieten ihnen unsere Persönlichkeit. Wir haben eine Meinung, ein Profil. Wir haben nicht alle Bücher da, sondern eine Auswahl getroffen, das heißt, wir sind im klassischsten Sinne „Sortimenta“, so wie der Beruf früher auch hieß.“
E-Books und Onlinehandel scheinen die Buchhändlerin weniger zu bedrohen. „Das E-Book ist nicht der Untergang des Buches. Ich glaube, dass langfristig beides nebeneinander existieren wird.“ Die Konkurrenz gegenüber macht ihr mehr zu schaffen. Vor gut zweieinhalb Jahren hat die Meyersche auf der anderen Straßenseite eine Filiale eröffnet. Umso wichtiger für Junck, Profil zu zeigen – Individualität statt anonymer Konformität. „Die Herausforderung ist es, diesen Ort so attraktiv zu machen, dass man auch weiterhin hier einkaufen möchte.“ Sie bietet nach Ladenschluss Abholmöglichkeiten für vorbestellte Bücher an, nimmt mit ihrer Buchhandlung am Nippeser „Blauen Abend“ teil oder lässt jugendliche Testleser auf ihrer Website Neuerscheinungen rezensieren. Ihre Homepage ist kein reiner Webstore, sondern eine weitere Möglichkeit, das Besondere ihrer Buchhandlung dem Kunden zu zeigen – zum Beispiel mit kleinen Filmeinlagen, mit denen man lernen kann, wie die Geschenkverpackung von Büchern besonders ansprechend gelingt.
In einem separaten Laden neben ihrer Buchhandlung bietet Dorothee Junck auch Merchandising-Produkte an, weil das zusätzlich Kunden anzieht. Ihr Kollege Klaus Bittner verzichtet dagegen fast gänzlich auf buchferne Produkte. „Die Schokolade würde ich wahrscheinlich nur selber essen“, sagt er. Bittner setzt auf Gespräche. Mit der Auswahl der Bücher sind heutzutage viele Kunden bereits überfordert. Sie tun sich schwer, mit der Flut der Neuerscheinung umzugehen. „Wenn man das so will, sind wir da das Pflaster auf der Wunde. Eine individuelle Beratung kann da oft helfen. Der Buchhändler als Therapeut!“, das gefällt ihm. Warum nicht!
Bittner ist sich sicher, dass sich auch in Zukunft Optionen ergeben werden, die er jetzt noch nicht absehen kann. Er hat schon viele Höhen und Tiefen im Buchgeschäft erlebt: „Als ich angefangen habe, gab es kein Fax, es gab keine Computer. Das heißt, wir haben die Bestellung per Brief oder telefonisch gemacht. Es gab diese dicken, grünen Nachschlagewerke, aus denen wir die lieferbaren Bücher heraussuchen mussten. Es ist doch großartig, dass sich das alles verändert hat.“ Seinen Charme hat er sich, trotz aller Veränderungen im Buchmarkt, zum Wohle seiner Kunden erhalten. Wie er sich seinen Laden in zehn Jahren vorstellt? „Ich weiß es nicht. Ich hoffe, immer noch genauso. Ich bin doch Planet!“
Buchtipp Klaus Bittner:
„Nackt“ von Jean-Philippe Toussaint und „Ein ganzes Leben“ von Robert Seethaler
Buchtipp Dorothee Junck:
„Arztroman“ von Kristof Magnussen
Thema der nächsten Ausgabe:
Warum Frauen die besseren Kunden des Buchhandels sind