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Wasser, mehr nicht?

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Der Mensch besteht zu 70 Prozent aus Wasser, sagt die Naturwissenschaft

Theorien haben so lange Bestand, bis sie einer besseren weichen?

VON KATHARINA EUSTERBROCK – Prozentuale Angaben über die materielle Zusammensetzung des menschlichen Körpers sind eine Zumutung. Allein schon, weil sie üblicherweise mit jener für Naturwissenschaftler charakteristischen Überheblichkeit vorgetragen werden, die über jeden Zweifel erhaben scheint. Reines Faktenwissen eben. Aber was sind Fakten? Sie sind beobachtbar, messbar, experimentell nachweisbar und deshalb wahr. Was sind dagegen schon Theorien, die von der Existenz einer menschlichen Seele ausgehen oder sich gar mit kosmischer Energie oder energetisiertem Wasser beschäftigen? Gewicht, Erscheinungsbild, chemische Zusammensetzung, Beweise? Fehlanzeige!



Dennoch: Wasser ist eben nicht nur H2O, ebenso wenig wie der Mensch ein Zellhaufen. Doch wie begründet man beispielsweise die Existenz einer Seele in einer Welt der Fakten, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, das sei alles bloßes Wunschdenken angesichts der unangenehmen Tatsache unserer Endlichkeit?

Esoteriker machen leider in ihrem ungleichen Kampf gegen das naturwissenschaftlich geprägte Weltbild der westlichen Hemisphäre häufig den Fehler, sich mit pseudowissenschaftlichen Worthülsen auszurüsten und insbesondere Schwingungen, Wellenlängen und Frequenzen zu strapazieren – Begriffe, die ihr Zuhause ursprünglich in der klassischen Physik haben. Ein gefundenes Fressen für ihre Gegner, die nur darauf gewartet haben, sich auf die zumeist zahlreichen Widersprüche und begrifflichen Unschärfen zu stürzen, diese genüsslich zu sezieren und am Ende hochmütig ihre wissenschaftliche Unhaltbarkeit zu konstatieren.

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Dabei gibt es doch Verteidigungsstrategien, die mehr Erfolg versprechen als der Versuch, sich mit fremden Federn zu schmücken. Reichlich Rückenwind für alternative Weltentwürfe kommt beispielsweise aus der Erkenntnisphilosophie und der kritischen Wissenschaftstheorie. So gehört es längst zum philosophischen Konsens, dass es keinen objektiven Blick auf die Wirklichkeit geben kann, d. h. dass auch die Naturwissenschaften diesen nicht für sich beanspruchen können. Daran ändern weder hochmoderne bildgebende Verfahren etwas noch die sorgfältigsten Versuchsanordnungen. Die Wirklichkeit, wie wir sie wahrnehmen, ist eine Konstruktion. Blickt ein Wissenschaftler durchs Mikroskop, dann wird er dies nie auf neutrale Weise tun, auch wenn er sich noch so sehr anstrengt. Erstens ist er stets gezwungen, eine bestimmte Perspektive einzunehmen, zweitens steht er immer nur indirekt mit der physischen Außenwelt in Kontakt – vermittelt durch seine Sinnesorgane. Es gibt kein unschuldiges Auge, das nicht sofort selektieren und interpretieren würde, das nicht immer von bestimmten Intentionen geleitet wäre, das nicht automatisch nach Mustern sucht und findet, weil es finden will. Oder schlimmer: das Dinge übersieht, weil sie nicht zu den Vorannahmen des Beobachters passen. Kurz: Beobachtung ist immer theoriegeleitet.

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Als einer der ersten erkannte dies Karl Popper. Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker verlor schon früh seinen Glauben, Wissenschaft sei etwas Besonderes, weil sie auf Tatsachen beruhe. Er lehnte es ab, von einzelnen Beobachtungen – und nichts anderes sind wissenschaftliche Experimente – auf allgemeingültige Gesetze zu schließen. Theorien sind nach Poppers Auffassung lediglich unsichere und vorläufige Spekulationen, Versuche des menschlichen Intellekts, Erklärungen zu einigen Aspekten der Welt zu finden. Theorien können jederzeit an der Erfahrung scheitern. Ihre Gültigkeit hängt davon ab, wie gut sie sich in der physischen Welt bewähren. Wissenschaftlicher Fortschritt verläuft nach dem Evolutionsprinzip:

Nur die geeignetste Theorie überlebt. Und nur so lange, bis sie von einer besseren abgelöst wird.

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Ein anderer, der die Naturwissenschaften von ihrem hohen Ross holte, war der amerikanische Philosoph Nelson Goodman. In seinem Buch „Weisen der Welterzeugung“ stellte er dem Glauben an das absolut Gegebene die Idee einer Pluralität von Welten entgegen. Über den Menschen sagte er, er sei nicht nur ein Schwarm von Atomen, ein Zellkomplex, ein Gemisch aus Wasser und Biomasse, er sei gleichzeitig auch ein Mann, eine Frau, ein Freund, Geigenspieler, Verrückter und vieles mehr. Jede dieser Perspektiven beschreibe eine andere Weise, in der ein Gegenstand existiere. Folglich sei die „eine“ richtige Weise eine Illusion. Obwohl laut Goodman alle bestehenden Weltentwürfe letztlich vom Menschen „gemacht“ und deshalb im Prinzip gleichberechtigt sind, plädierte er nie für ein „Anything goes“. Vielmehr müssten sich die verschiedenen Versionen anhand von Kriterien der Richtigkeit und Angemessenheit beurteilen lassen. Eine Weltversion werde nicht dadurch richtig, dass man sie für richtig erkläre.

Dem versierten Kunstkenner und eingefleischten Museumsgänger Goodman war es wichtig, insbesondere die Kunst in ihrer erkenntnisvermittelnden Funktion anzuerkennen und gleichberechtigt neben die Wissenschaften zu stellen. Zwar räumte er der naturwissenschaftlichen Welt eine hohe Leistungsfähigkeit hinsichtlich ihres Potenzials ein, Probleme zu lösen. Aber er betonte auch ihre Grenzen, denn mit dem sprachlichen Bezugssystem, das ihr zur Verfügung stehe, könne man weder den ästhetischen Wert eines Kunstwerks ermitteln noch komplexe Gefühle unterscheiden und zueinander in Beziehung setzen. Auch kämpfte er gegen die für das westliche Denken typische Gegensatzkonstruktion zwischen Verstand und Gefühl, die mehr Schaden anrichte als nutzbringend sei. Und dies zu Recht:

Wie wir wissen, betreiben die westlichen Industrienationen mit ihrem einseitig an den Naturwissenschaften ausgerichteten Machbarkeitswahn systematischen Raubbau an der Natur und verursachen eine ökologische Katastrophe nach der anderen.

Kein Wunder also, dass sich alternative Weltkonzepte häufig vom ganzheitlichen, biozentrischen Denken des asiatischen Kulturraums inspirieren lassen. Gerade um unsere primären Lebensbedingungen nicht endgültig zu zerstören, ist es dringend notwendig, unsere Entfremdung von der Natur zu überwinden und zu lernen, uns wieder als Einheit mit ihr zu erfahren. Dazu gehört wohl auch, im Wasser eben mehr zu sehen als seine molekulare Zusammensetzung. Was also spricht dagegen, dass wir uns bereichern lassen von neuen oder auch von alten Sichtweisen des Wassers, sei es von der Ästhetik der Wasserkristalle und der Heilkraft des Wassers, von seiner Bedeutung in den Weltreligionen oder den Geschichten über Nixen und Wassergeister in der Mythologie nordeuropäischer Völker. Solche archetypischen Vorstellungen von der Beseeltheit des Wassers lassen sich natürlich nicht beweisen. Die Frage ist aber, ob es überhaupt Sinn macht, einen Beweis zu fordern. Auch Märchen erzählen schließlich keine realen Begebenheiten und es wäre lächerlich, sie danach zu beurteilen, ob sie tatsächlich so stattgefunden haben. Ihre Wahrheit ist eine andere als die der Naturwissenschaft. Und wer sollte beurteilen, welche Version die bessere ist?

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