Ein herausragendes Thema der heutigen Zeit ist alternative Ernährung, 12 Prozent der Bevölkerung ernähren sich in Deutschland mittlerweile vegetarisch. Der Großteil der deutschen Hausmannskost basiert auf Fleisch, und der Hauptgeschmacksträger in den Speisen ist Fett. Für eine Zubereitung ohne Fleisch benötigt man daher andere Strategien. Oliver Groß, Geschäftsführer des Rotondo Businessclubs, wollte es genau wissen und lud Heiko Antoniewicz, den Spezialisten für Molekularküche, ein, um ein veganes Sieben-Gänge-Menü zu kreieren. Bei dem Event war es möglich, den besonderen Zubereitungsmethoden des Küchenteams beizuwohnen.
Wir trafen Heiko Antoniewicz und konnten ihn zu Aromen, Gewürzen und Molekularküche befragen.
VERARBEITUNG
Seconds: Sie sind ja Spezialist für die Molekularküche. Wenn das Gemüse in Vakuum gegart wird, gehen keine Inhaltsstoffe verloren.
Antoniewicz: Diese Vorgehensweise haben wir für das heutige vegane Menü genutzt, also die ganz klassische „Sous vied“ Methode, um den Eigengeschmack der Produkte herauszustellen. So werden einfache Dinge wie Topinambur oder Karotten werden dann auf einmal zur Delikatesse. Es hat den Vorteil die Zutaten nicht einfach in einem Topf mit Wasser auslaugen zu lassen, sondern in einem geschlossenem Umkreis, sprich Vakuum, punktgenau zu garen. Das ist das, was wir heute als Team machen. Wir finden den Geschmack immer wieder gut, und beim Essen geht es um nichts anderes.
Seconds: Natürliche Aromen! Wir wissen, heutzutage schmeckt vieles nach nichts mehr. Wenn der Konsument heute ein Schokocroissant bestellt, besteht der Aufguss meist nur aus Gelatine, da ist gar keine Schokolade mehr drin. Und das Gemüse hat oft kaum Aromen.
Antoniewicz: Ja, ich finde es auch schlimm, dass es, wenn man auswärts essen geht, überall identisch schmeckt. Gerade durch das Vakuumgaren entwickelt sich das vollkommene Aroma. Und auf der anderen Seite kann ich durch die Vielfalt der Aromen auf Salz und andere Gewürze fast verzichten, sie weniger, aber dann konsequenter einsetzen.
AROMA
Seconds: Dann sind Aromen ja speziell für die vegane Küche wichtig.
Antoniewicz: Ja, das ist tatsächlich der Fall, es ist aber komplizierter, als es tatsächlich ist. Es gibt für jedes Lebensmittel ein Gewürz-Pendant, mit dem man Geschmack, ich sage mal: potenzieren kann, ohne ihn zu überlagern. Ganz klassisch ist die Kombination: Blumenkohl mit Muskat. Durch die Muskatnuss potenziert man den Eigengeschmack des Blumenkohls, auf der anderen Seite überdeckt man die Schwefelgase ein bisschen, die im Blumenkohl immer wieder durchkommen.
Da wir über Muskat reden: Zu Beginn meiner Kochausbildung hat mein Küchenchef mir eine Muskatnuss gegeben und gesagt: So, die reicht jetzt für die nächsten drei Jahre. Was er mir damit vermitteln wollte: sie fein zu dosieren und sparsam einzusetzen, dann macht es Sinn. Meist erlebt man den Blumenkohl mit Muskat leider überwürzt.
Seconds: Probieren geht über Studieren?
Antoniewicz: Ja, welches Aroma passt optimal zu den anderen Lebensmitteln. Da kommen manchmal wilde Sachen `raus, wie etwa Lachs mit Lakritz, wie Mango mit Olivenöl. Aber diese Dinge sind, harmonisch aufeinander abgestimmt, ein wirklich absoluter Genuss.
Seconds: Kommen Gäste und fragen nach den Zutaten?
Antoniewicz: Wir gehen offen mit dem um, was wir tun. Ich halte nichts davon, aus meiner Arbeit ein Geheimnis zu machen. Jeder hat seinen eigenen Stil in der Küche. Ich adaptiere viele Ideen und wende sie in meiner Küche an.
Seconds: Bei Gemüse kommt keine Langeweile auf?
Antoniewicz: Nein, wir haben so viele Gemüsesorten, die der Konsument heute gar nicht im Fokus hat. Das ist extrem wichtig für uns als Küchenteam, da noch einmal hinzugucken und die Verarbeitungsmethoden für uns zu erschließen. Und wir sind noch lange nicht am Ende. Das ist ja auch ein bisschen Tradition. Im Supermarkt hat man früher fünf verschiedene Sorten einer Gemüseart gehabt, heute gibt es eine deutlich größere Auswahl – was aber dazu führt, dass wir den Speiserhythmus der Jahreszeiten verlieren.
Aber der Körper gibt uns die Signale: Im Winter gelüstet es mich nach anderen Speisen als im Sommer – und genau so sind die Sachen ja auch gewachsen, genau auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten; das muss man so verstehen. Wer isst im Winter gerne Tomaten? Sie schmecken nach Wasser.
Seconds: Wie viel Prozent der Wahrnehmung muss man überhaupt zurückschrauben, wenn man davon ausgehen kann, dass Nutella und Cola so sehr in den meisten Köpfen verankert ist? Diese Sachen sind so übersüßt, überwürzt, vollgestopft mit Transfetten. Kann man die Leute mit rein pflanzlichen Gerichten direkt erreichen, oder müssen sie sich auf einen Lernprozess einlassen?
Antoniewicz: Es ist sicherlich neu. Es gibt natürlich viele, die sagen: Das ist nichts für mich. Die wollen auf ihr Fleisch nicht verzichten. Wenn ich mich vegan ernähre, brauche ich auf der anderen Seite keinen Veggie Burger oder Veggie Döner. Oder Sojaschnitzel. Ich brauche diese Bezeichnungen für meine Art und Weise des Genusses nicht, da ich nicht das Gefühl habe, dass mir etwas fehlt. Das ist der Ansatzpunkt, an dem viele dann sagen: Ich brauche das allein der Bezeichnung wegen.
GEWÜRZE
Seconds: Wie sieht es mit Gewürzen aus? Diese werden ja auch je nach Jahreszeit geerntet.
Antoniewicz: Es gibt natürlich unterschiedliche Jahreszeiten für Gewürze, und am besten kann man diese tatsächlich auch trocknen. Kräuter sind vorzugsweise frisch zu verarbeiten, so kann man das Aroma am besten lösen. Wir beschäftigen uns auch mit ganz schrägen Sachen. Wir denken, dass nicht nur durch Hitze ein besseres Aroma generiert werden kann – etwa wenn man Rosmarin zum Braten in die Pfanne legt –, sondern auch durch Kälte. Mit Kälte kann man genauso – wenn nicht sogar besser – Aromen lösen. Wir arbeiten mit flüssigem Stickstoff. Damit löst man wesentlich schneller und besser Aromen und kann man sie auch ganz gezielt hinzufügen. Wenn man das erzählt, wird man natürlich schräg angeguckt, aber das find` ich nicht schlimm, denn jeder riecht und schmeckt den Unterschied.
Seconds: Eine spannende Sache. Was ist denn an dem Stickstoff so speziell? Wie werden die Öle, Aromastoffe gelöst?
Antoniewicz: Die gesamte Feuchtigkeit im Gemüse wird von jetzt auf gleich kristallisiert, in der Essenz bilden sich jedoch keine Kristalline, und Sie können das Ganze direkt zerdrücken. Durch das Zerdrücken lösen sich dann die ätherischen Öle.
Bis heute wird in vielen Kochsendungen erzählt, dass sich beim Anbraten von Fleisch die Poren schlössen – das hört man immer wieder. Fleisch hat keine Poren. Dieser Irrtum ist einem der größten Chemiker zu verdanken, den wir haben, dem Herrn Liebig. Er hat uns auch viele sehr gute Informationen beschert; da hat er sich aber leider getäuscht.
KÜCHENGEPFLOGENHEITEN
Seconds:Ich merke schon, Sie finden also auch, dass sich das Bewusstsein zum Lebensmittel in der Profi-Küche geändert hat.
Antoniewicz: Ja, so ist es. Der Umgang mit Lebensmitteln gestaltet sich zunehmend bewusst, und viele Köche wissen mittlerweile, dass unsere Rohstoffe endlich sind, besonders wenn man über Fisch redet. Wenn ich mir überlege, dass es innerhalb der nächsten 40 bis 50 Jahre vielleicht keine wild fangbaren Fische mehr gibt… Und da muss ich natürlich heute schon darüber nachdenken, was bald auf uns zukommt. Ich bin ja ein bekennender Molekularkoch. In den Ideen der Molekularküche oder in ihrer Tiefenphilosophie ist ja eines verankert: jedem Lebensmittel den gleichen gastronomischen Stellenwert zu geben. Das heißt, dass man den Gästen in den Restaurants natürlich auch zunehmend vegetarische Akzente anbietet. Als man vor 15 Jahren damit anfing, in vielen Restaurants auch molekular zu kochen, hatte das noch kaum einer realisiert. Das, was in den Köpfen hängengeblieben ist, ist das Arbeiten mit Stickstoff – man schäumt auf und macht damit irgendwelche komischen Sachen. Diese Methode ist nun mehr und mehr in unsere Küche implementiert, und wir haben damit auch recht großen Erfolg.
Seconds: Ja, ich stelle mir die Küche vor zehn, fünfzehn Jahren vor: Die Arbeit war schlecht bezahlt, da war Hektik drin…
Antoniewicz (lacht): So ist es immer noch!
Seconds: Aber in dem Sinne – das war ja ein ganz anderes Erleben als heute. Dieses Bewusstsein hat sich doch auch innerhalb der Küche geändert.
Antoniewicz: Ja, das dauert noch ein paar Tage, bis es wirklich mal durchgeschlagen ist. In der Ausbildung sieht die vegetarische, vegane Küche im Standardrestaurant dann folgendermaßen aus: Man sitzt vor dem Gemüseteller, beim Blumenkohl mit Sauce hollandaise – ups, da ist ja Ei drin, wenn man auf die Packung guckt… Entschuldige, wenn ich das so überspitzt formuliere, aber es ist tatsächlich so. Und die nächste Generation von Köchen, die wird dies merken. Ich denke, da haben wir noch eine große Aufgabe vor uns.
Seconds: Ich meine, da ist der Konsument ein bisschen mit am Ball. 1995 waren es hierzulande noch 0,01 Prozent der Konsumenten, die sich vegan ernährten, und mittlerweile leben tendenziell 800.000 Menschen in Deutschland vegan.
Antoniewicz: Im Moment ist es noch sehr modern oder hipp, sich vegan zu ernähren. In anderen Kulturkreisen gibt es das Thema erst gar nicht: In Indien isst man ganz selbstverständlich vegetarisch oder vegan. Dort ist der Begriff schlichtweg unbekannt.
VEGAN DENKEN
Seconds: Finden Sie, dass das Essen in Deutschland zu billig ist?
Antoniewicz: Ja, definitiv. Ich würde raten, nicht zu preiswert anzubieten. Manchmal kann man die Preise in Restaurants gar nicht erzielen, die man erwirtschaften möchte, wenn man eine sehr gehobene oder gute Qualität servieren mag – das funktioniert eben leider nicht. Und nicht nur in der Spitzengastronomie; das zieht sich bis in die letzten Restaurants.
Seconds: Wie viel vegane Küche empfehlen Sie persönlich? Nicht ausschließlich vegan, sondern ab und zu vegan – was halten Sie davon?
Antoniewicz: Was uns heute abhanden gekommen ist, ist ein Bewusstsein für den eigenen Körper. Wenn der eigener Körper sagt: Heute habe ich keine Lust auf Fleisch – dann esse ich keines; aber dafür muss ich natürlich auf mich achten, auf mich hören. Wenn ich dieses Bewusstsein wiedererlange – auch wenn das etwas abgedreht klingen mag –, dann merke ich: Heute ist mir nicht nach Fleisch. Wenn ich in die Historie zurückblicke – meine Oma hat den Speiseplan ganz anders geschrieben. Rotkohl, Kartoffeln mit Sauerbraten gab es am Sonntag, Fleisch einmal die Woche. Das hat sich geändert. Ich will keine Empfehlung abgeben, merke persönlich nur, dass ich meine veganen Phasen heiß und innig liebe. Ich muss dann auch keinen Hunger leiden. Vielleicht auch deswegen, weil ich mit Lebensmitteln umgehen kann, würzen kann. Ich empfinde Veganismus nicht als Last. Wenn man dies als Bürde aufnimmt, z.B. sagt: „Ich muss jetzt unbedingt abnehmen.“, dann ist es meistens schon zu spät, denn dann wird es anstrengend. Wenn ich diese vegane Phase betreibe, verliere ich wirklich Kilos – und ich esse BERGE! (lacht)
Seconds: In dem Kontext wäre Veganismus statt Fasten interessant?
Antoniewicz: Ja, oder basisch vegan: all das, was der Körper sauer verstoffwechselt, weglassen. Dazu gehört leider auch der leckere Latte macchiato, jeder Espresso, schwarzer Tee. Und am besten nach 19 Uhr nichts mehr essen.
Seconds: Also verändert eine vegane Ernährungsumstellung das Leben?
Antoniewicz: Die Menschen werden wach. Denn der Zuckerpegel liegt heute extrem hoch, und hinterher fallen die Leute immer wieder in ein tiefes Loch. Wenn ich mich vegan ernähre, kriege ich keine Fressattacken. Man bleibt insgesamt ruhiger. Natürlich kann man sich auch „vegan ungesund“ ernähren: mit Kartoffeln und Pommes Frites. (lacht)
Seconds: Ist veganes Kochen nicht teuer und aufwendig?
Antoniewicz: Das hält sich, denke ich, in der Waage. Auch bei tierischen Lebensmitteln muss auf eine gute Qualität und Zubereitung geachtet werden. Somit muss ein veganes Menü nicht teurer sein als ein konventionelles.
Seconds: Gibt es noch Gründe, Fleisch zu essen?
Antoniewicz: Eigentlich nicht. Der einzige Grund, der bleibt, ist der Appetit darauf. Lust und Genuss. Wenn dies so im Einklang steht, habe ich überhaupt nichts dagegen. In Deutschland werden alleine 60 Millionen Schweine jedes Jahr aufgezogen und geschlachtet, das muss man erstmal sacken lassen. Da sind noch keine Rinder, Lämmer und Hühner mitgezählt. Und wo geht es hin?!
Seconds: Wie tankt man bei einer veganen Ernährung tierisches Eiweiß und Fette? Gibt es spezielle „ Pusher“ in dem Sinne?
Antoniewicz: Jeder Veganer kennt sich mit seinem Essen und seinen Bedürfnissen total gut aus. Er weiß ganz genau, woher er seine Kraftquellen bezieht. Mich überrascht immer wieder, wie tief diese Menschen im Thema sind, wie extrem gut sie sich auskennen. Ein Beispiel ist das wichtige Vitamin B17 – Veganer futtern Apfelkerne. In den Medien hingegen wurde hinsichtlich veganer Ernährung viel Angst gemacht. Bis heute gibt es keine offizielle Empfehlung in Deutschland, sich vegan zu ernähren. Von daher informiert sich der Veganer selber, auf welchem Wege er an Fettsäuren oder bestimmte Vitamine kommen kann.
Seconds: Wir haben von der Sensibilisierung gesprochen: Sie sagten so schön, der Veganer wisse genau, welchen Stoff er wann braucht. Die Sensibilisierung in der Gesellschaft stelle ich mir nach einem Zehn-Stunden-Arbeitstag schwer vor. Wie finde ich die Ruhe dafür?
Antoniewicz: Der erste Schritt ist, zu sich selbst zu finden. Sich vegan zu ernähren, setzt eine bestimmte Einstellung zum Leben voraus. Veganismus ist Bewusstsein, dieses beginnt im Kopf. Sie sind mit Ihrer Arbeit zufrieden, Sie können Ihre Freunde gut leiden. Ich glaube auch, dass, wenn man Selbstzufriedenheit ausstrahlt, man diese wiederbekommt. Und dann werden Sie insgesamt zufriedener.
Seconds: Vielen Dank für das Interview!