Die Kammeroper Köln leistet Aufbauarbeit ohne öffentliche Förderung
Eine Kammeroper zu eröffnen, ist ein ehrgeiziges Projekt, und bisher geht es in jeder Hinsicht auf. Mit Leidenschaft, Spielfreude und hohem musikalischen Niveau hat das Ensemble ein breites Publikum für sich gewonnen. Die Künstler haben sich einen festen Platz in der Kölner Theaterlandschaft erspielt und sind in ganz Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg gern gesehene Gäste.
1996 gründeten die beiden Schwestern Esther und Inga Hilsberg die Oper als Tourneetheater, zunächst mit einer kleinen Probebühne in Köln. 2007 bezog die Kammeroper Köln ihr eigenes Theater in Köln-Rodenkirchen.
Von vorneherein war das Unternehmen ein gemeinnütziger Verein, er hat sich der konsequenten Nachwuchsförderung verpflichtet: Fertig studierte Sänger bekommen hier die praktische Ausbildung und Erfahrung, die sie für eine erfolgreiche Karriere brauchen.
Sängerin und Kulturmanagerin Esther Schaarmann, geborene Hilsberg, übernahm die Intendanz, Dirigentin Inga Hilsberg die musikalische Leitung. Beide haben in Köln studiert und stießen in ihrer beruflichen Laufbahn immer wieder auf denselben Missstand: junge Musiker bekommen in der Hochschule zu wenig Praxis, sind auf die Anforderungen des Theaters nicht genügend vorbereitet. Das beginnt mit dem Wissen, wie sie mit den eignen Kräften haushalten, sich in einer Partie nicht von vorneherein zu verausgaben, um bis zu Schluss durchzuhalten oder sich in einer sechswöchigen Probenphase vor einer Premiere genügend Kraft für die anschließenden Vorstellungen zu bewahren. Es betrifft die Bühnenpraxis und die nötige Erfahrung im Vorsingen für Engagements.
Auch das Erstellen aussagekräftiger Bewerbungen oder ganz trockener Dinge wie der Steuererklärung, die Kenntnis von Künstlersozialkasse, Bayrischer Bühnenversorgung, GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten) und GEMA gehören zur Basis des Berufs. „Früher haben alt eingesessene Kollegen die jungen an die Hand genommen und ihnen gezeigt, wie das Theater funktioniert. Die alten Kollegen gibt es nicht mehr, weil sie nach 14 Jahren gekündigt werden. Mit dem 15. Jahr hätten sie Anspruch auf eine unbefristete Anstellung, würden also unkündbar. Und die jungen Leute werden als billige Arbeitskräfte verbraucht. Die sind das erste Mal am Haus. Sie wissen nicht, was sie dort erwartet, wie die Strukturen sind und wie sie sich auf die Proben vorbereiten. All das sollte eigentlich an einer Hochschule gelehrt werden, passiert aber nicht immer“, sagt Inga Hilsberg. In Rodenkirchen und an Hochschulen geben die Schwestern auch Seminare wie „Wo geht’s denn hier zur Bühne?“
Das Rüstzeug für die Bühnenlaufbahn
Was eigentlich von den Opernstudios der städtischen Bühnen geleistet werden sollte, übernimmt die Kammeroper. Hier bekommen junge Sänger die Chance, die nötigen Erfahrungen zu sammeln, einige wichtige Fachpartien zu erarbeiten und zu meistern – und sich mit Hilfe erfahrener Kollegen ins Ensemble einzugliedern: „Den jungen Leuten tut es sehr gut, von gestandenen Sängern mit jahrelanger Erfahrung an die Hand genommen zu werden und ihren Platz im Ensemble zu finden“, erklärt Hilsberg. „Das Publikum spürt, dass das Ensemble zusammengewachsen ist und Spaß daran hat, gemeinsam zu arbeiten.“
Die Tourneen verlangen den Sängern viel ab. Oft spielen sie jeden Tag in einer anderen Stadt, was Durchhaltevermögen und Disziplin erfordert. 95 Termine stehen auf einemTourplan, die Häuser sind oft ausverkauft. Teilweise buchen die Veranstalter noch eine zweite Vorstellung am Nachmittag hinzu, weil der Andrang so groß ist. Gleichzeitig bekommen die jungen Sänger auch Sicherheit in den Partien, die üblicherweise an großen Häusern als Vorsingearien gefordert werden und als Eintrittskarte für Engagements gelten. Für Sängerinnen zum Beispiel die ‚Susanna’ in ‚Figaros Hochzeit’ und die ‚Pamina’ in der ‚Zauberflöte’. „Wenn ich diese Partie schon oft unter schwierigsten Bedingungen gesungen habe, bei uns zum Beispiel in der Kindervorstellung um neun Uhr morgens, gehe ich in das nächste Vorsingen entspannter“, sagt Hilsberg, „und das können die Opernhäuser nicht mehr leisten.“ Weil auch die meisten Nachwuchskünstler sich nicht trauen, Engagements abzulehnen, gehen viele Stimmen durch Überlastung oder falschen Einsatz der Kräfte kaputt. In der Regel bleiben die jungen Künstler zwei bis drei Jahre im Ensemble der Kammeroper und haben dann das Rüstzeug und ein Sprungbrett für die größeren Häuser.
Große Oper für kleine Menschen
Inga Hilsberg ist es auch sehr wichtig, dass Kinder früh die klassische Musik, die Oper und das Theater live erleben. Mit dem Konzept, große, klassische Opern auf eine Kinderlänge von einer guten Stunde zu bringen, ist ihre Bühne sehr erfolgreich. Natürlich liebt und lebt sie die Musik, die in breiten Teilen der Bevölkerung immer mehr aus dem Bewusstsein verschwindet. „In der Vermittlung der klassischen Musik und des Theaters haben wir eine Generation ausgelassen. Das ist ganz dramatisch. Die Generation, die jetzt Kinder hat, die bald wieder eine eigene Familie gründen, also die zwischen 35 und 50, wurde außen vor gelassen. Wer geht heute mit seinen Kindern ins Theater?“ Inzwischen haben digitale Medien und das Internet immer mehr Raum bekommen, und das unmittelbare Erleben im Theater ist nicht mehr im Focus. Um Qualität geht es oft nicht mehr, die Technik macht es ja möglich. „Wenn ich nur CDs höre und das Live- Erlebnis Oper gar nicht kenne, vermisse ich auch nichts. Manche Pop-Sternchen im Umkreis von DSDS könnten überhaupt kein ganzes Konzert live auftreten. Man kann über Musikstile streiten und sie mögen oder nicht, jeder hat seine Berechtigung. Aber die Voraussetzung muss sein, dass Musiker live Musik machen können“, meint Inga Hilsberg. Insofern ist es ihr auch ein Anliegen, dass sie mit ihrer Arbeit möglichst viele Kinder aus den unterschiedlichsten Schichten erreicht. Sie lädt die Schulen ein, bietet vor- und nachmittags Kindervorstellungen in Köln.
Was ist ein Theater?
Allein in Köln besuchen über 21.000 Menschen im Jahr die Kammeroper. Darunter sind auch sehr viele junge Leute. Das spricht für sich und für die Qualität des breit gefächerten Repertoires. Neben großen Opern für Kinder und Stücken in der Originalfassung stehen auch Operetten wie „Die „Fledermaus“ oder „Eine Nacht in Venedig“ auf dem Spielplan, Musicals wie „My Fair Lady“ oder „La Cage aux Folles“, das am 28. Juni Premiere hat. Musikalische Revuen und Konzerte ergänzen das Programm. Dabei setzen die Schwestern auf eher klassische, kreative Bühnenbilder als auf Plüsch und Kitsch. Auch die Texte der Stücke sind „behutsam modernisiert“.
„Es ist immer eine Frage der Herangehensweise. Man kann alles so interessant und liebevoll machen, dass rüberkommt, was für tolle Musik das ist und was für super Texte“, sagt Hilsberg. „Wir machen eine Gradwanderung zwischen traditionellen, verstaubten und total modernen Interpretationen, weil wir auf die Veranstalter angewiesen sind.“ Trotz ihres großen Erfolgs brauchen die Gründerinnen sehr viel Engagement und Idealismus. Das Budget ist knapp, die Spielstätte in Köln muss noch ohne Orchester auskommen. Ohne Subventionen ist an einen Orchestergraben zum Beispiel nicht zu denken. Aber Subventionen gibt es von der Stadt Köln nicht. Wortreich wird die Leistung der Kammeroper gelobt, während andere freie Theater gefördert werden. Eine Kooperation mit der städtischen Oper und der Stadt würde von der Kammeroper sehr begrüßt, findet aber nicht statt. Im Referat Theater und Tanz der städtischen Kulturförderung erfährt Inga Hilsberg von der Entscheidungsträgerin, die Kammeroper sei gar kein Theater, sie möge sich an das Referat Musik wenden. Institutionelle Förderung gibt es in diesem Referat allerdings nicht. Was ist das für ein Theater?
[divider]Die nächste Premiere in der Kammeroper Köln[/divider]
„La Cage aux Folles“, Broadway-Musical von Jerry Hermann
Freitag, 28.06.2013 – 19 Uhr in der Kammeroper Köln
Friedrich-Ebert-Str. 4, 50996 Köln (Rodenkirchen)
Spielplan, Karten und Infos unter
http://www.kammeroper-koeln.de