Mara Bergmann – über ihr Nippes, kleine Jugendsünden und die Kunst, überall zuhause sein zu können.
Als touristisches Warenzeichen muss das „Nippeser Mädchen“ noch eingetragen werden. Vielleicht übernimmt diese Aufgabe ja Mara Bergmann, denn die ist ein waschechtes. Vor 31 Jahren ist die TV-Journalistin (WDR-Lokalzeit, ZDF-WISO) in einem damals dunkelgrauen, heute knallroten Mietshaus an der Merheimer Straße ans Licht der Welt gekrabbelt. Der Stadtteil im Kölner Norden steckt für sie voller Erinnerungen. Von einigen erzählt die Schirmfrau des Veedelsfilmfests im Interview.
Eine Hausgeburt war damals, in den 80er Jahren, ziemlich ungewöhnlich, oder?
Mara Bergmann: Ich glaube schon. Aber ich bin ein bisschen stolz drauf, dass ich wirklich in Nippes zur Welt gekommen bin.
Wo fängt dein Nippes an und wo hört es auf?
Mein Nippes fängt tatsächlich in der Merheimer Straße an, dort wo diese schönen Kastanienbäume stehen. Da ist für mich totales Heimatgefühl. Ich träume sogar manchmal davon. Von diesem schönen Licht, das morgens ins Zimmer fiel. Ich bin oft mit meiner Schwester am Fenster gesessen und habe hinaus geschaut, wenn in der Lutherkirche gegenüber Hochzeiten waren und viele Leute in schönen Kleidern und festlicher Stimmung. Wir haben uns vorgestellt, man wäre selbst eins der Blumenmädchen.
Wo findest du dieses besondere Lebensgefühl heute?
Immer wenn ich nach Köln komme, über die Zoobrücke fahre und dieses Panorama sehe, dann habe ich dieses Heimatgefühl. Das geht mir aber auch so, wenn ich meine Großeltern am Niederrhein besuche. Ich habe sogar Heimatgefühle, wenn ich in Büros komme, in denen ich früher mal gearbeitet habe, und ich rieche diesen Geruch. Dann befällt mich so ein melancholisches Gefühl, wegen all der vergangenen Momente. Ich mag das sehr.
Du hast nicht nur in Köln gewohnt, richtig?
Ja, aber ich habe den Kontakt zu Köln nie verloren. Nach dem Abi habe ich in Dortmund studiert und hatte dort ein Zimmer, später auch in Wiesbaden und Mainz. Aber ich habe immer den Draht zu Freunden und Familie in Köln behalten. Deswegen habe ich mich auch sehr gefreut, als das Angebot vom WDR kam.
Gibt es auch anderswo Orte, die du zu deinem Heimatmosaik zählen würdest?
Spanien, die Costa Brava, wo wir fast jedes Jahr Urlaub gemacht haben. Und Weeze, wo ich als Kind viel Zeit bei meinen Großeltern verbracht habe. Wir waren total oft dort und sind zum Beispiel mit dem Fahrrad ins Wildschweingehege gefahren. Das fand ich immer sehr aufregend. Einmal mussten wir uns auf einen Baum retten, weil da plötzlich so ein Eber war, der seine Familie beschützen wollte. Für uns Stadtkinder war es toll, dass wir auch dieses Landleben hatten.
Weil du davon in Vergangenheit sprichst: Gibt es diesen Ort für dich nicht mehr?
Meine Großeltern gibt es noch, die leben jetzt im Nachbarort. Aber ich war letztens total verheult, weil dieses große Haus, in dem ich soviel Zeit verbracht habe, verkauft worden ist. Das ist natürlich ganz normal, aber für mich hängen so viele Erinnerungen daran. Zum Beispiel mein kleines Geheimversteck in einer verborgenen Klappe in der Mauer. Da saßen wir Kinder immer, haben uns Geschichten erzählt und Detektivclubs gegründet. Wenn so ein Haus verkauft wird, dann verdrückt man ein paar Tränen. Aber meine Großeltern gibt es immer noch, und das ist das Wichtigste.
Inwiefern kann man denn als Erwachsener noch eine neue Heimat finden?
Also ich bin ein Mensch, der überall immer Ecken gefunden hat, an denen er sich heimisch fühlen kann. Es gehört zum Leben, dass man Heimatorte auch manchmal verliert. Ich kann jetzt eben nicht mehr in das Haus meiner Großeltern reinmarschieren oder in die Wohnung, in der ich mit meiner Schwester aufgewachsen bin. Deshalb nutze ich jetzt gerne solche Apps, mit denen man Rundumbilder machen kann. Solche Bilder bringen auch nach Jahren noch die Gefühle zurück, die man sonst vielleicht nicht so abrufen kann. Diese Gefühle sind zwar immer da, aber manchmal braucht man einen Link dazu.
Seit wann bist du wieder zurück in Nippes?
Seit 2011. Nicht in der alten Ecke, sondern eher an der Grenze zu Riehl. Aber dadurch, dass ich auch noch in Wiesbaden lebe, reist mein Zuhause immer mit, mein Schuhschrank befindet sich im Kofferraum meines Autos. Aber klar: So intensiv wie Köln kann kein Ort für mich Heimat sein.
Du sagt „Köln“ und nicht „Nippes“. Empfindest du die ganze Stadt als deine Heimat? Oder hört es hinterm Barbarossaplatz so langsam auf?
Wenn du mir Köln hier als Karte hinlegen würdest, könnte ich ein paar Fähnchen hinein stecken an Orte, mit denen ich besondere Erinnerungen verbinde. Und davon befinden sich natürlich die meisten in Nippes. „Eis Engel‘n“ zum Beispiel, oder das Nippeser Tälchen.
Was kommt dir als erstes in den Sinn, wenn du an Nippes denkst?
Als Kinder haben wir hier immer Filme gedreht und die Leute in unserer Nachbarschaft dazu verpflichtet, Rollen zu spielen. Unser erster Film hieß „Nachts, wenn der Einbrecher kommt“. Da haben wir im Keller unseres Hauses eine Einbrecherszene gedreht, so im TKKG-Detektivgeschichten-Stil. Das war immer unser Faible: kleine Banden von Kindern, die Fälle aufklären.
Laufen diese Filme jetzt auch beim Veedelsfilmfest?
(Lacht.) Als Kind hätte ich da bestimmt was eingereicht.
Um was würde es in einem Film gehen, den du jetzt über Nippes drehen würdest?
Auf jeden Fall irgendwas mit Erinnerungen. Ich würde versuchen, mir eine möglichst abgefahrene Geschichte auszudenken. Vielleicht was Philosophisches. Es müsste was sein, was für einen persönlich wichtig ist, aber auch andere Menschen berührt. Vielleicht ein Nippes-Krimi. Ich kenne bislang nur Köln-Krimis, das wär doch mal eine gute Sache.
Was ist denn typisch Nippes? Gibt es Dinge in Nippes, die hier wirklich anders sind als im Rest von Köln?
Da fällt mir vor allem der Wilhelmplatz ein. Das ist der einzige Marktplatz, der so authentisch ist. Diese Mischung unterschiedlicher Menschen aus allen möglichen Ländern und Traditionen. Nippes ist sehr offen und sehr tolerant. Das war früher schon so und ist bis heute so geblieben. Mein erster bester Freund hat dort bei einem Süßigkeitenstand mal so ein Haribo für uns beide geklaut. Wir waren so fünf oder sechs Jahre alt, und ich habe ihm gesagt, dass er das nicht dürfe, aber er war offenbar so verliebt in mich, dass er‘s einfach gemacht hat. Und als ich‘s später gegessen habe, kam ich mir richtig diebisch vor.
Da ist er doch, der Nippes-Krimi!
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Es war einerseits total schlimm für mich,dass er das getan hat. Aber andererseits fand ich es auch total süß, denn er hat es für mich getan.
Gibt es auch Orte in Nippes, die du meidest?
Als Kind gab es den. In der Nähe der Turnhalle des ESV Olympia habe ich mal eine Festnahme beobachtet. Ich wollte zwar immer Detektivin sein, aber das war mir dann doch too much. Deshalb habe ich danach immer einen Bogen um diesen Platz gemacht. Nebenan hingegen, das alte Stellwerk, auf dem heute die autofreie Siedlung steht – da waren wir sehr häufig. Das war so ein Niemandsland, da lebten viele Künstler, und das war natürlich toll für uns: ein freier Ort, der noch nicht so zugebaut war.
Glaubst du, dass es für die Kinder von heute solche Orte noch gibt?
Ich glaube schon, dass es noch freie Plätze gibt, an denen die Kinder sich austoben können, aber die sind weniger geworden. Hinter unserem Haus gab es eine Grünfläche mit großen Bäumen, auf denen wir immer mit unserem Hund unterwegs waren – auf der Suche nach neuen Detektivgeschichten. Diese Anlage ist inzwischen abgezäunt, da können Kinder jetzt nicht mehr so ohne weiteres spielen.
Würdest du deine Kinder in Nippes großziehen wollen?
Ich finde Nippes super für Familien. Der Stadtteil ist in den letzten Jahren sogar noch lebenswerter geworden. Es ist eine gute Mischung aus Ur-Nippesern, Neuzugezogenen und jungen Familien. Aber eine Wohnung für meine Familie würde ich nicht nur in Nippes suchen. Etwas Schönes zu finden, am besten Altbau mit hohen Decken, vielleicht zum Selber-Herrichten, das ist ja sowieso schon schwer genug.
Gibt es etwas in Nippes, das dir fehlt?
Da ich ja nicht nur in Nippes bin, finde ich es eigentlich gut so, wie es ist. Vielleicht so ein kleines, kultiges Kino. Das kann auch Mainstreamfilme spielen, aber auch mal was Ungewöhnliches. Ich fand damals das „Broadway“ auf der Ehrenstraße toll. Vielleicht kann man so ein Veedelsfilmfestival ja mal zum Anlass nehmen, so ein Kinoprojekt zu starten.
Das Interview führte Sebastian Züger
Foto Titel: LUCY ELLA photography – Fotos Beitrag: seconds