Beim vergangenen „Tag des guten Lebens“ veranstaltete das Team von Sabine Kern des Diözesan-Caritas Verbandes eine lebende Bibliothek. Wie man träumt, wenn man blind ist? Wie sich die Flucht in ein fremdes Land anfühlt? Warum schwarze Deutsche so oft die Augen verdrehen, wenn man die Frage stellt „Und? Wo kommst du ursprünglich her?“
Was ist eine lebende Biblithek?
Bei einer lebenden Bibliothek können Sie Menschen als sogenannte „Lebende Bücher“ für persönliche Gespräche buchen. Menschen mit verschiedener Herkunft und Geschichte, mit unterschiedlichen Berufen und Lebensanschauungen – von A wie Asylwerber bis Z wie Zauberer. Fragen Sie, was Sie schon immer wissen wollten. Wichtig sind Respekt und Wertschätzung ohne gegenseitiges Überzeugen wollen.
Die „Lebende Bibliothek“ ermöglicht den Dialog zwischen Menschen, die sich anderswo und anderswie vielleicht niemals begegnet wären. Wie in jeder anderen Bibliothek können ‚Bücher‘ für die Dauer einer Ausleihfrist – und zu den Bedingungen einer Bibliotheksordnung – entliehen und ‚gelesen‘ werden. Der Unterschied: In der „Lebenden Bibliothek“ sind die Bücher Menschen, mit denen man ins Gespräch kommen kann.
Die „Lebende Bibliothek“ hat das Motto: „Sprich mit deinen Vorurteilen.“ Hinter dieser Aufforderung steckt die Idee, dass eine mögliche Form, sich kritisch mit den (eigenen) Vorurteilen und Stereotypen zu befassen, die sein kann, sich mit denen darüber zu unterhalten, die von ihnen betroffen sind. Allerdings würde das Ziel der „Lebenden Bibliothek“ gründlich verfehlt, wenn der Entleiher oder die Entleiherin nach dem Gespräch bloß ein ‚altes‘ gegen ein ’neues‘ Vorurteil oder Stereotyp ausgetauscht hätte oder der Meinung wäre, nur ‚eine Ausnahme von der Regel‘ getroffen zu haben…
Tatsächlich geht es um mehr. Nämlich darum, sensibler dafür zu werden, wie Stereotypisierung und Vorurteile eigentlich entstehen, welche inidividuellen und gesellschaftlichen Funktionen sie haben, und wie sie sich auf das Zusammenleben unterschiedlicher Gruppen in einer Gesellschaft auswirken können. Es geht also, im Rahmen der rund 30-minütigen, vertraulichen Gespräche zwischen den ‚Lebenden Büchern‘ und ihren ‚Leserinnen‘ und ‚Lesern‘ darum, gemeinsam ein Stückchen weit hinter den ganzen Vorurteils-‚Mechanismus‘ zu kommen, hinter den gefährlichen Zusammenhang unreflektierter Stereotype, achtlos geäußerter Vorurteile und unterschiedlichster Formen der Ausgrenzung, Stigmatisierung und Diskriminierung, die die ‚Lebenden Bücher‘ erfahren haben und denen sie ihr Recht, nicht nur auf freie Meinungsäußerung, sondern vor allem darauf, von jeglicher Form der Diskriminierung frei zu sein, entgegen setzen.
Wir gehen davon aus, dass „Vorurteilsfreiheit“ – als Bildungsziel – weder möglich noch eigentlich erstrebenswert ist: Jede/r von uns hat Vorurteile (erlernt) und das ist zunächst ein Fakt! Vorurteile sind aber nicht immer harmlos oder einfach nur ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ in Bezug auf die (u.U. auch wieder nur relative) ‚Wahrheit‘ einer Sache; Vorurteile stehen im Gegenteil sehr häufig und auf gefährliche Weise in Zusammenhang mit „Ideologien der Ungleichwertigkeit“ und begründen (menschen)feindliche Mentalitäten und Verhaltensbereitschaften mit, die sich für die Betroffenen sehr negativ auswirken, indem sie zu verschiedenen Formen direkter oder indirekter Diskriminierung und manchmal sogar zu offener Gewalt führen können
Vorurteile (in ihrem Zusammenhang mit Ideologien der Ungleichwertigkeit) können als solche benannt, beschrieben, analysiert und kritisch hinterfragt, aber sicher nicht ohne weiteres ‚verlernt‘ oder ‚überwunden‘ werden. Tatsächlich sprechen wir in der „Lebenden Bibliothek“ bewusst und in deutlicher Formulierung existierende Vorurteile an. Aber wir ‚erwarten‘ von unseren „Lebenden Büchern“ nicht, dass sie ihre/n Entleiher/-in ‚bekehren‘ oder gar seine/ihre Vorurteile ‚beseitigen‘ – dies wäre vermessen und würde eher in einer Ausblendung der eigentlichen Problematik resultieren, die ja beidseitig besteht. Vielmehr geht es uns darum, für das Thema „Vorurteile“ zu sensibilisieren, Bewußtheit zu erzeugen und nicht zuletzt darum, mit Menschen zusammen zu arbeiten, die – wie wir – daran interessiert sind, über, durch und für die Menschenrechte zu lernen und zu agieren, insbesondere für die Freiheit von jeglicher Form von Diskriminierung (vgl. Art. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) – vielleicht die Kernaussage sämtlicher Menschenrechtskataloge und des bundesdeutschen Grundrechtekatalogs.
Miteinander reden statt übereinander
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