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Fair einkaufen – green guerillas

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Die Nachhaltigkeit ist tot.
Es lebe die Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Seit der Jutebeutel wieder „salonfähig“ ist, beschweren wir uns ganz gerne mal wieder über die bösen Menschen, die noch Plastikbeutel benutzen, während wir mit unserem Coffee-to-Go (natürlich in einem Becher aus recycelter Pappe) in den nächsten H&M stolpern. Die wenigsten wissen tatsächlich, was es mit dem schönen Wort „Nachhaltigkeit“ auf sich hat und wie wenig nachhaltig die Dinge sind, mit denen wir uns täglich umgeben und vor allem kleiden.

Ein bisschen anders sieht es da bei Marlies Binder und Kai Tettenborn aus. Die Kölner Ladenbesitzer führen einen Concept Store für organic und fair-trade Kleidung auf der Roonstraße und eine zweite Filiale in der Kölner Südstadt, auf der Merowingerstraße. Obwohl das Studium beider eine vollkommen andere berufliche Laufbahn vermuten lässt. Als Sportökonom und Historikerin weisen beide nicht den typischen Werdegang auf, den man bei Inhabern eines Kleidungsgeschäftes vielleicht vermuten würde. Kennengelernt haben sich die beiden „Immis“ über eine Freundin und sind dann, nach langer Freundschaft, ein Paar geworden und natürlich Geschäftspartner. Nur GOTS-zertifizierte Produkte kommen in ihre beiden Läden „green guerillas“. Wer sich jetzt fragt, was GOTS überhaupt bedeutet, der sollte schleunigst das Interview lesen. Schulung des ökologischen Bewusstseins garantiert.

Seconds: Marlies und Kai, die GOTS-Zertifizierung ist Voraussetzung für die Aufnahme von Textilien in eure Läden. Nachhaltigkeit liegt momentan ja sehr im Trend. Aber mal Hand aufs Herz: Habt ihr euch aus Prinzip für Label mit ökologischem Bewusstsein entschieden oder seid ihr einfach Trendsetter?

Kai: Wir haben uns aus absolut vollster Überzeugung dafür entschieden, einen Concept Store für ökologische und fair gehandelte Bekleidung zu eröffnen. Die Textilindustrie ist zum allergrößten Teil leider extrem „pervers“ in ihrem Streben nach immer mehr Profit. Daraus resultiert dann, dass die Umwelt mit Füßen getreten wird und Menschen unter Menschen verachtenden Bedingungen arbeiten und leben müssen. Dagegen wollen wir mit unserem Angebot etwas tun, denn die Alternativen sind ja da. Alle Marken/Produkte, die wir in unserem Sortiment führen, müssen nach dem Global Organic Textile Standard zertifiziert sein. Der GOTS ist der weltweit führende Standard mit den strengsten und höchsten Anforderungen im Bereich der ökologischen Textilien. Er definiert umwelttechnische Anforderungen entlang der gesamten textilen Produktionskette und gleichzeitig die einzuhaltenden Sozialkriterien. Auf Grundlage der Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation – ILO. Zusätzlich tragen viele Textilien auch noch das Fairtrade-Siegel.

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Marlies: Als wir im April 2011 unseren ersten Laden in der Roonstraße eröffnet haben, gab es in Köln noch keinen vergleichbaren Laden. Damit sind wir dann wohl Trendsetter gewesen, auch wenn wir dieses Wort nicht wirklich mögen, ein Trend ja meist etwas Kurzweiliges. Es sei denn, der Trend „Nachhaltige Mode“ wird noch viel größer und hält dann auch dauerhaft an. Das hoffen wir, und daran glauben wir natürlich auch. Wenn man sich länger und intensiver mit der Thematik beschäftigt, kann man auch gar nicht mehr anders. Wir lieben das, was wir machen, und wir leben es. Wir machen das nicht, weil es vielleicht grade „hip“ ist. Wenn wir nicht zu Hundert Prozent ehrlich hinter dem stehen würden, was wir tun, würden wir uns wohl auch auf keinen Fall eine 7-Tage-Woche mit mindestens 80 Arbeitsstunden antun.

Seconds: Was prägt euer ökologisches Bewusstsein? Gab es einen Punkt, an dem ihr beschlossen habt, einen Beitrag zu leisten? Wie ist „green guerillas“ entstanden?

Kai: Ein grundsätzliches ökologisches Bewusstsein besteht natürlich schon lange. Im Bereich der Bekleidung kam dieses Bewusstsein irgendwann während meines Studiums. Ich habe mich schon immer für Bekleidung, insbesondere Streetwear, interessiert und bin dann mit einigen jungen Labels in Kontakt gekommen, die ihre Klamotten ökologisch und fair produzieren. Das hat mich begeistert, und ich habe mich immer intensiver mit dieser Thematik beschäftigt und bin natürlich auch zu einem überzeugten Kunden dieser Kleidung geworden. Nach dem Studium habe ich dann aber erst mal drei Jahre im Vertrieb aber nicht Bekleidung gearbeitet. Das Thema „Nachhaltige Bekleidung“ hat mich aber nicht mehr losgelassen. Die Lust auf berufliche Veränderung und Selbstständigkeit hat dann dazu geführt, dass ich mir Gedanken darüber gemacht habe, was ich in diesem Bereich machen könnte. Tja, und dann kam halt irgendwann die Idee mit dem eigenen Laden. Von diesem Gedanken bis zur Eröffnung hat es dann bei sehr wenig Schlaf ca. acht Monate gedauert.

Bei einigen Menschen macht es dann „klick“, bei anderen eben nicht.

Marlies: Es gab keinen bestimmten Punkt, an dem es „Klick“ gemacht hat. Ich habe mich schon während meiner Schulzeit für Umweltschutz interessiert. Nach dem Abi habe ich ein „Freiwilliges Ökologisches Jahr“ in einer umweltpädagogischen Einrichtung absolviert. Während des Studiums habe ich mich intensiv mit internationalem Umweltschutz in der Politik auseinandergesetzt. Nach dem Studium habe ich dann für kurze Zeit in NGOs (non-governmental-organizations) im Bereich Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet. Als mir Kai von seiner Idee erzählte, war ich sofort begeistert und habe ihn bei der Umsetzung von Beginn an unterstützt. Richtig ins Geschäft mit eingestiegen bin ich dann ein Jahr nach der Eröffnung.

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Seconds: Der zweite Laden in Köln bestätigt euer Konzept. Wie kam es zur Expansion und warum in die Kölner Südstadt?

Kai: Die Kölner Südstadt ist ein idealer Ort für solche Ideen. Die Südstadt ist ein wunderschönes Veedel, und die Nachbarschaft ist sensibel für nachhaltige Themen wie Umweltschutz, fairen Handel und soziale Gerechtigkeit. Dies ist natürlich wichtig für den Erfolg eines solchen Konzeptes. Dass der zweite Laden so schnell dazu gekommen ist, war eher ein Kind des Zufalls – geplant war es zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch nicht. Wir haben einen Tipp bekommen, dass ein tolles Ladenlokal in der Merowingerstraße zur Vermietung steht. Naja, und nachdem wir es uns angeschaut hatten, wollten wir es einfach mal versuchen. Glücklicherweise fanden auch die Vermieterinnen unser Konzept klasse, und plötzlich hatten wir ein zweites Geschäft.

Seconds: Die Eröffnung von Primark in Köln zeigt, dass in vielen Köpfen noch kein Umdenken stattgefunden hat. Wie würdet ihr vor „Anhängern“ der Tiefstpreisanbieter argumentieren, um sie zu mehr ökologischem Bewusstsein beim Einkauf zu bewegen, oder ist das eine vergeudete Diskussion?

Kai: Eine Diskussion ist ja nur möglich, wenn das Gegenüber überhaupt dazu bereit ist. Wenn dies der Fall ist, kann man sachlich informieren, versuchen aufzuklären und dazu anregen, sich Gedanken zu machen. Bei einigen Menschen macht es dann „klick“, bei anderen eben nicht. Das ist schade, aber man muss es so hinnehmen. Wir wollen auch nicht die ganze Zeit mit dem erhobenen Zeigefinger belehrend und diskutierend in der Gegend rumstehen. Das kann grade bei jungen Menschen eher kontraproduktiv sein. Wer Interesse an Informationen hat, bekommt diese sehr gerne von uns. Was dann daraus gemacht wird, liegt nicht in unserer Hand.

Seconds: Welche Labels kommen am besten bei euren Kunden an?

Marlies: Rund 25 junge Labels mit ökologischem und sozialem Bewusstsein bilden unser buntes Modesortiment. Neben vielen nationalen Labels wie armedangels (Köln), recolution (Hamburg), THOKKTHOKK (München) und wunder[werk] (Düsseldorf), sind auch internationale Marken wie KnowledgeCotton Apparel aus Dänemark, Nudie Jeans aus Schweden oder Komodo und People Tree aus England vertreten. Diese, aber eigentlich auch alle anderen Labels, erfreuen sich großer Beliebtheit bei unseren Kunden.

Seconds: Beschreibt eure Kundschaft in einem Satz.

Kai: Unsere Kundschaft ist sehr unterschiedlich, aber die meisten von ihnen haben eines gemeinsam: Sie interessieren sich für die Herkunft der Produkte, die sie konsumieren, und übernehmen Verantwortung.

Seconds: Was würdet ihr euch für die nächsten zwei Jahre wünschen?

Kai: Wir wünschen uns, dass die Modeindustrie – hier insbesondere die Großen der Branchen – wenigstens etwas mehr Verantwortung für die Umwelt und Menschen übernehmen, auch wenn dies wohl ein sehr idealistischer Wunsch ist. In den letzten drei Jahren hatten wir das große Glück, so unendlich viele nette, tolle Menschen kennenzulernen, sowohl bei unseren Labels, als auch innerhalb unserer Kundschaft. Wir freuen uns auf weitere grandiose Jahre mit ihnen und hoffen, dass noch ganz viele Leute dazukommen. Für uns privat als Paar wünschen wir uns wieder etwas mehr Zeit abseits der Arbeit für einander, Zeit für unsere Familien und Freunde und natürlich Gesundheit.

Das Interview führte Katharina Ley

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