Alles, was Sie sehen, ist richtig! – VON ANDREAS BASTIAN – Bilderleben ist die Abkehr davon, Portraits oder Objekte der Kunstepochen, ausschließlich aus intellektueller Sicht zu betrachten. „Alles was Sie sehen ist richtig.“ So Dr. Heiling in der Supervision für die auszubildenden Bilderflüsterer. Herr Heilings Anrede ist klar und erleichternd, “Hören Sie auf, Bilder mit historischen oder fachchinesischen Vorurteilen zu betrachten. Versuchen Sie das Bild zu verstehen und zu enträtseln“. In dieser Runde saßen wir im Ludwig-Museum vor einem Gemälde von W. Beckmann –„Frühlingslandschaft“ von 1925.
Es geht weniger darum, was der Kunsthistoriker über das Bild weiß, sondern was wir damit persönlich assoziieren. Die Runde betrachtet rund 15 Minuten schweigend das Bild. Notizen des Gesehenen werden festgehalten und in der gemeinschaftlichen Analyse ausgewertet. Die Sichtweisen der Teilnehmer ergänzen sich Stück für Stück zu einem Gesamtbild. Emotionen anstatt Theorien, Einfachheit statt Klugheit ist die Devise.
Das gemeinsame Sehen und Entschlüsseln stellt alle Teilnehmer auf eine Stufe – Bildung? Nebensache. Und genau dieser Prozess ist für die Ausbildung zu einem museumspädagogischen Workshopleiter wichtig. Die Geheimnisse der Bilder sind nicht nur durch Expertise zu lüften, sondern für jeden Menschen greifbar.
Praktiziert wird dieses Gruppenerlebnis auch an Haupt- und Realschulklassen. Die schwierigen Fälle, die „Unbelehrbaren“ – will man meinen, aber so ist es nicht. Dankbare Sprüche vom verzweifelten Lehrkörper der Sekundarstufe zwei inklusive. Der Diplompsychologe und Unternehmensberater von der Initiative Bildererleben arbeitet nach dem Prinzip: Alles ist erlaubt, „Alles was Du sagst ist richtig, weil es dein persönliches Erleben ist.“ Ob man für das Bilderenträtseln besondere Qualifikationen benötigt, verneint Herr Dr. Heiling in unserem Gespräch.
Für die Schülerinnen und Schüler aller Bildungswege ist es ein besonderes Erlebnis schwerverständliche Kunst plötzlich in einfache Worte zu fassen. Wer sich vormals ausgeschlossen fühlte, Kunst zu begreifen, beweist sich jetzt das Gegenteil. Die gruppendynamischen Prozesse entwickeln ein Gemeinschaftsgefühl, jeder will dabei sein, jeder will seine Eindrücke mitteilen. Es ergeben sich im Laufe der Analyse zahlreiche Gemeinsamkeiten in den Empfindungen und in den Eindrücken.
Das Erlebte bekommt Substanz.
Zum Ende der Bilderanalyse werden Synonyme gefunden. In dem analysierten Bild von Beckmann war es Alice im Wunderland. Als Sinnbild dafür, dass nicht alles Vorhergesehene eben immer eintritt. Dass die Welt doch sehr viel widerspenstiger ist, als es uns in der Planung des Lebens erscheint. In der Supervision wird deutlich worum es geht. Wir betäuben uns in der Gesellschaft, um dem Leistungsdruck und den Zukunftsängsten entgegenzuwirken und das beginnt leider schon im Kindesalter. Anstelle offen und neugierig durch das Leben zu gehen, verschließen wir uns. Was in der heutigen Zeit auch durchaus sinnvoll ist, denn Sicherheit wird als höchstes Gut verstanden.
Der natürliche Schutzmechanismus verwandelt leider nur all zu oft die Empfindung von Gefahr in Abstumpfung. Dabei geht uns das Bewusstsein verloren, wofür wir wirklich arbeiten, kämpfen oder streiten. In dieser Ausgeschlossenheit reagieren wir auf die Umwelt mit Lustlosigkeit, Intoleranz und Aggression. Aber der Druck steigt, da wir aus lauter Langeweile das Lernen verloren haben.
Die Leistungsfähigkeit und die persönlichen Interessen gehen nicht mehr Hand in Hand.Ratio statt Tiefe, so der Lehrplan an den Schulen, unterschiedliche Lerngeschwindigkeiten inklusive. Kunst hat die Möglichkeit Gruppen und Klassen einen Zugang zu ihrer Wirklichkeit erkennen zu lassen. Sie bietet den Weg zurück in die Traumwelt, wo wir unter geschützten Bedingungen uns mit dem eigenen Leben und Erleben auseinandersetzen können. Lachen, wertfreies Reden, dazu Gruppendynamisches wie Helfen und Unterstützen. Dinge, die in manchen Schulklassen völlig festgefahren sind.
Die Kunst ist der Schlüssel zu Erlebniswelten, die intensive Auseinandersetzung mit einem Bild oder einer Skulptur eröffnet einen lebendigen Austausch. Eine kreative Möglichkeit der Selbstreflektion eröffnet sich. Sie gibt Einblick auf die eigenen Umgangsformen. In den Gruppenbesprechungen kommt es auch zu Dialogen zwischen den Teilnehmern. Erfahrungen, Situationen werden ausgetauscht und verglichen. Die ursprüngliche Rollenverteilung gerät hierbei in Bewegung.
Am Ende steht die Erfahrung, dass erst die Berücksichtigung aller Sichtweisen komplexe Themen entschlüsseln können. Herr Dr. Heiling und sein Team leiten diese Workshops für Jugendliche seit bereits über 20 Jahren, mit immer wieder erstaunlichen Erlebnissen. Darüber hinaus bietet Bildererleben in Kölner Museen und bei bildenden Künstlern kostenlose Workshops für interessierte Besucher an.
„Das Eigene steht immer dem Fremden gegenüber und wir verschließen uns, um unser Eigen zu schützen.“, so Dr. Heiling. Dass Fremdes bereichern kann, zeichnet jedoch diese Workshops aus. und dDas Flüstern des Bildes „Frühlingswald“, wird auf unserer Webpage, in Zusammenarbeit mit den Supervisoren, beschrieben.